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Ethik und Moral in der Digitalen Welt

Podium: Peter G. Kirchschläger, Cornelia Diethelm, Moderator Matthias Zehnder und Referent Benjamin Bargetzi

Chip im Hirn: Mensch oder Maschine?

In der zunehmend digitalen Welt bedarf es ethischer und moralischer Leitplanken. Mit exponentiellem Wachstum schreitet die Digitalisierung voran, deren Regulierung hinkt hinterher. Wer ist verantwortlich für Ethik und Moral in der immer digitaleren Welt? Über diese Frage wurde an einer Veranstaltung des Forums Kirche und Wirtschaft, einer Fachstelle der Katholischen Kirche Zug, diskutiert.

Kampfroboter, die jubeln, autonome Drohnen, die Pakete ausliefern, oder Altenheime, in denen die Bewohnerinnen und Bewohner von Robotern betreut werden. «All das, was nach Science Fiction klingt, wird heute schon geboren oder ist bereits», sagte Benjamin Bargetzi. Der studierte Neurowissenschaftler, Psychologe und Philosoph mit beruflichem Hintergrund bei Google und Amazon gilt als einer der führenden Redner Europas im Bereich zukunftssicherer Transformationsstrategien. Anfang November war er im Kloster Kappel Hauptreferent an der Veranstaltung «Ethik und Moral in der digitalen Welt – Wer trägt die Verantwortung?» des Forums Kirche und Wirtschaft, einer Fachstelle der Katholischen Kirche Zug.

Arbeiten am ewigen Leben

Die Digitalisierung erlebe ein exponentielles Wachstum an Entwicklungen, wie es das bisher nicht gegeben habe. «Die Welt hat technologisch immer mehr Hunger. Und die grössten Technologiefirmen haben erkannt, dass sie damit viel Geld verdienen können», sagte Bargetzi. Er sprach über das Metaverse – das Eintauchen in virtuelle Welten, in denen Menschen immer mehr Zeit verbringen. Er erzählte, dass es sich das Unternehmen Altos Labs zum Ziel gesetzt hat, den menschlichen Alterungsprozess aufzuhalten oder gar umzukehren – schlussendlich also die Unsterblichkeit anstrebe. Oder Neuralink, das daran arbeite, eine direkte Kommunikation zwischen Hirn und Computer zu ermöglichen. «So könnte künftig das Bewusstsein eines Menschen vor dem Tod in eine Cloud hochgeladen und später in einem anderen Körper oder Roboter wieder entladen werden. Das würde in ewiges Leben münden.»

Diesen Entwicklungen schaut Bargetzi zum Teil kritisch entgegen. So stellte er bezüglich Transhumanismus die Frage, was ein Mensch sei, der sich Maschinen in den eigenen Körper einbauen lasse, um besser zu werden. Ist er Mensch? Oder Maschine? Die grösste Gefahr der Robotik besteht in seinen Augen darin, wenn Roboter zu stark an das menschliche Wesen angeglichen werden. «Wir bauen heute Intelligenzen, die sich selbst steuern können.»
Die Technologisierung zeige aber auch Auswirkungen auf jede und jeden Einzelnen. «Die Digitalisierung hat zu einer Abnahme der menschlichen Aufmerksamkeitsspanne geführt. Im Jahr 2000 lag sie noch bei 12 Sekunden, 2015 waren es nur noch 8 Sekunden. Zum Vergleich: Jene des Goldfischs liegt bei 9 Sekunden.»

Entwicklung ist nicht zu bremsen

Nichts desto Trotz – Bargetzi erkennt in diesen Entwicklungen auch Chancen. «Wenn jemand durch einen Unfall beide Beine verliert und seine Prothesen lediglich durch seine Gedanken steuern kann, wäre das zu begrüssen. Oder wenn wir alle unsere DNA in eine Cloud hochladen würden, um dadurch zu erkennen, was zu Krebs führt, wäre das etwas Gutes.». Bargetzi ist überzeugt, dass sich die Digitalisierung nicht aufhalten lässt. «Sie kommt sowieso. Die Frage ist nur, ob wir uns darauf vorbereiten oder nicht.» Beispielsweise müsse sichergestellt werden, dass in der Zukunft ein Chip im Hirn nicht gehackt werden kann.

In der darauffolgenden Podiumsdiskussion traten unterschiedliche Meinungen zutage. Cornelia Diethelm, die am Aufbau des Centre for Digital Responsibility arbeitet, Peter G. Kirchschläger, Ordinarius für Theologische Ethik und der Einstiegsreferent Benjamin Bargetzi wurden von Moderator Matthias Zehnder durch das Gespräch geführt, das hin und wieder Züge verbalen Säbelrasselns annahm.

Zwischentitel

Kirchschläger betonte, dass Ethik und Moral nicht auf die digitale Entwicklung reagieren dürften, sondern dass bereits im Vorfeld ethische Fragen geklärt werden müssten. Und er wies auf die negative Seite der Materialien hin, die zur Digitalisierung nötig sind: «Diese Produkte haben Dreck am Stecken, sie werden unter menschenunwürdigen Bedingungen geschürft.»

Cornelia Diethelm wehrte sich gegen die ständige Geschwindigkeitszunahme, von der Bargetzi im Einstiegsreferat gesprochen hatte: «Wir dürfen nicht unterschätzen, dass Menschen aufgrund der Digitalisierung zu Schaden kommen können. Wir müssen uns daher immer die Zeit nehmen, um zu reflektieren und uns der moralischen Werte bewusst zu sein.»

Kirchschläger forderte energisch eine kritische Reflexion darüber, dass Investitionsflüsse nicht automatisch zu ethischen Werten führten. «Warum robotisieren wir Altersheime – als kostensenkende Massnahme oder weil dadurch die Pflege verbessert wird? Aufgrund der Kosten!» Diethelm pflichtete bei: «Nicht alles, was möglich ist, ist auch ein Fortschritt.»

Es schien ein vergebliches Bemühen Bargetzis zu sein, diesen Aussagen teilweise beizupflichten. «Ich sehe die Probleme. Ich sehe aber auch Möglichkeiten, dass uns die neuen Technologien als Kollektiv sehr viel bringen können.» Als Beispiel nannte er die Umwelt. «Ohne die Technologie schaffen wir das nicht mehr, der Zug ist abgefahren.» Und er plädierte erneut dafür, sich darauf vorzubereiten, wie die Welt in fünfzig Jahren aussehen könnte.

Kirchschläger hob die Wichtigkeit der Menschenrechte hervor. «Alle fünf Grosskonzerne nehmen Menschenrechtsverletzungen nicht nur in Kauf, sondern fördern sie, um noch mehr Geld zu verdienen.» Er sprach über Facebook, das nicht genügend gegen Hassparolen vorgegangen sei. Die Nutzer des Portals hätten sich dadurch noch länger bei Facebook aufgehalten, zugleich hätten die Hassparolen in realen Gewaltausbrüchen geendet.

Moderator Zehnder brachte die Frage in die Gesprächsrunde, die Thomas Hausheer, Leiter der Fachstelle Kirche und Wirtschaft, zu Beginn des Abends vor den mehr als achtzig anwesenden Personen gestellt hatte: Wer setzt der digitalen Welt die Grenzen, wer trägt die Verantwortung?

Cornelia Diethelm knüpfte an Bestehendem an: «Wir müssen an dem anknüpfen, das bereits besteht. An den Menschenrechten. Und schauen, dass sie auch für die digitale Welt relevant sind.»

Geforderte Kollaboration

Bargetzi betonte einerseits die Eigenverantwortung, andererseits aber auch die unabdingbare Kollaboration über die Nationen hinweg: «Die derzeitigen Entwicklungen müssen global gelöst werden. Denn über die grossen Fragen, beispielsweise über die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz, entscheiden die Regierungen, nicht die Konsumenten.»

Auch Kirchschläger warnte vor der künstlichen Intelligenz, indem er Elon Musk zitierte: «Künstliche Intelligenz ist gefährlicher als Atomwaffen.» Als mögliche globale Lösung schlug er eine Datenbasierte System-Agentur vor, ähnlich der IAEA (Internationale Atomenergie-Organisation, die darauf hinweist, wenn sie eine Gefährdung der internationalen Sicherheit feststellt, Anm. d. Red.).

So unterschiedlich die Voten teilweise auch waren, so herrschte bei der Frage nach Regulierung Einigkeit. Die technologische Entwicklung soll, kann nicht gebremst werden. Es sollen aber auf globaler Ebene Leitplanken gesetzt werden, welche verhindern, dass die Technologisierung gewinnmaximierend über ethische und moralische Werte hinwegsieht.

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